In der Bibel können wir sehen, dass Gott sich den Überzeugungen seines Volkes anpasste, auch wenn sie nicht der Realität entsprachen. Ein Beispiel dafür ist, dass wir in der Bibel eine antike Kosmologie finden (eine flache Erde, eine schützende Kuppel darauf und ein Meer aus Wasser darüber). In diesem Artikel kannst du lesen, warum dies eine gute Nachricht ist und was wir von dieser antiken Kosmologie lernen können.
Was ist Akkommodation?
„Akkommodation setzt voraus, dass Gottes Wissen und seine Realität das menschliche Verständnis übersteigt“ (Sturdevant, 2016:Accommodation). Daher offenbart sich Gott dem Menschen auf so eine Weise und in dem Rahmen in dem es dem Menschen möglich ist Gott zu verstehen.
Um sich mitzuteilen, muss Gott also solche schwer erfassbaren Wahrheiten an die Fähigkeiten des menschlichen Verstandes anpassen. Das kann sogar bedeuten, dass er sich einer menschlichen Fehlvorstellung vom Göttlichen bedient, wenn dies dazu dient etwas Wichtiges zu kommunizieren.
Daher kann der Begriff „Akkommodation“ als das Prinzip oder Gesetz definiert werden, nach dem Gott seine Selbstoffenbarung an die Fähigkeiten und Grenzen der geschaffenen Intelligenz anpasst (Wilis, 1906:15).
„Gott ist auf die Ebene oder die Fähigkeit der Menschheit ‚heruntergekommen‘, um sich verständlich zu machen“ (Hilber, 2020:84) definiert. In diesem Artikel definiere ich Akkomodation als die Art und Weise, wie Gott die Darstellung seiner Offenbarungswahrheit anpasst, um den Beschränkungen und dem gefallenen Zustand des Menschen Rechnung zu tragen (Boyd, 2017:400).
Viele Theologen im Laufe der Geschichte, wie Philo von Alexandria, Origenes, Augustinus und Calvin (Sturdevant, 2016:Accommodation), haben daran geglaubt, dass Gott seine Offenbarung an die menschlichen Grenzen anpasst.
Die Kosmologie der Menschen des Alten Orients
In seinem Buch „Old Testament Cosmology and Divine Accommodation“ stellt Hilber fest, dass „die gesamte Heilige Schrift allein durch die Tatsache, dass Gott zu den Menschen in Sprachen spricht, die sprachlich und kulturell bedingt sind, eine Akkommodation darstellt“ (2020:84). In diesem Zusammenhang erwähnt er, dass der „babylonische Talmud bekräftigt, dass ‚die Worte der Tora in der Sprache der Menschensöhne sind'“ (:86).
In seinem Buch konzentriert sich Hilber auf die angepasste Kosmologie, die in Genesis 1 zu finden ist. Er erklärt, dass die Kosmologie der Menschen des Alten Orients (AO) folgende drei Elemente umfasst:
(1) ein dreistufiges Universum
(2) eine Sonne die sich um eine flache Erde bewegt, welche auf Säulen fixiert ist
(3) eine schützende Kuppel auf der flachen Erde und darüber ein großes Wasserreservoir (:82).
Im Alten Testament hat Gott diese antike Kosmologie übernommen, was erklärt, warum sich im Alten Testament Verse finden, die die AO-Kosmologie widerspiegeln.
Kosmologie im Alten Testament
Ein dreistufiges Universum
Die alttestamentliche Kosmologie hat drei Ebenen: den Himmel, die flache Welt und die Unterwelt (Scheol). In vielen Schriften wird der Scheol „tief im Inneren der Erde“ verortet (Parry, 2014:77). Sie liegt unter der Erde (Dtn 32,22; Ps 86,13; Jes 7,11) und wird mit Staub und Würmern in Verbindung gebracht (Hiob 17,16; Jes 14,11) (Parry, 2014:78). Deshalb wurden Korach und seine Mitrebellen vom Erdboden verschluckt (Nm 16:32) und deshalb muss der Geist Samuels nach oben gebracht werden (1 Sm 28:11, 13, 15).
Eine flache Erde
„Die biblische Erde war, wie die der anderen Kulturen der alten Welt, keine Kugel, sondern flach“ (Parry, 2014:17). Die Formulierung „die Enden der Erde“ (Jes 41,9; Jer 16,19; Hiob 28,24) deutet auf ein solches Verständnis hin. Die flache Erde erklärt auch, wie es möglich ist, den Baum aus Daniels Vision von überall auf der Welt zu sehen (Dtn 4,11). Säulen (Ps 75,3; Hiob 9,6; 1 Sam 2,8) stabilisieren diese flache Erde und verhindern, dass sie wackelt. Dies wird durch die Unbeweglichkeit der Erde im Alten Testament bestätigt (1 Chr 16,29-30; Ps 93,1; 96,10).
Ein geozentrischer Kosmos
„Der biblische Kosmos war geozentrisch – Sonne, Mond und Sterne kreisten um eine fixierte Erde“ (Parry, 2014:21). Es wurde davon ausgegangen, dass sich die Sonne bewegt und nicht die Erde (Ök 1,5; Ps 19,4-6; 50,1). In der Schlacht mit den Gibeonitern ließ Gott die Sonne und den Mond stillstehen (Jos 10,12-14).
Kosmische Gewässer jenseits der schützenden Kuppel
Am Anfang gab nur ein Körper aus feindlichem Chaos-Wasser. Gott schuf die Welt, indem er diese Fluten des Chaos teilte (Gen 1,6-7). Ein Teil des Wassers blieb unter der Erde und ein Teil des Wassers wurde über dem Firmament gesammelt (Gen 1,7). Bei diesen „oberen Wassern“ handelt es sich weder um Wolken noch um die „Atmosphäre“, sondern um ein riesiges Meer über dem Himmel, jenseits des Raums, der heute von Sonne, Mond und Sternen bewohnt wird. Was diese ozeanischen Wasser in Schach hielt, war das „Firmament“ (hebräisch: raqîa) – eine feste Himmelskuppel, die die lebensbedrohlichen Wasser zurückhielt (Parry, 2014:94). Die Flutgeschichte wird als ein Rückgängigmachen der Schöpfung dargestellt. Die chaotischen Wasser, die Gott über die Kuppel und unter die Erde verbannt hatte, wurden freigelassen und versenkten die Erde erneut im Chaos (Gen 7,11-12). Der Glaube an eine feste Himmelskuppel war bei den alten Sumerern, Hethitern, Ägyptern und Babyloniern (:94) und wahrscheinlich auch bei den Israeliten (Hiob 22:14) verbreitet. Jenseits dieser festen Himmelskuppel vermuteten die Israeliten ozeanische Gewässer (Ps 148,4; Jer 10,12-13).
Wie können von Gott erschaffene Texte ungenaue Fakten enthalten?
Ich glaube, dass die Bücher der Bibel göttlich inspiriert und daher für das christliche Leben maßgebend sind. Wie passt diese Ansicht mit der Tatsache zusammen, dass sich in der Bibel Ungenauigkeiten wie eine flache Erde oder ein kosmisches Meer über dem Himmel finden lassen?
In 2 Tim 3,16-17 heißt es, dass alle Schrift von Gott eingegeben ist (lies HIER, was das bedeutet). Für mich bedeutet das, dass – in gewisser Weise – Gott der eigentliche Autor der Texte ist, die wir in der Bibel haben. Es bedeutet nicht, dass die Bibel irrtumslos oder unfehlbar ist. Es bedeutet, dass es der Geist Gottes ist, der die Bibel für uns lebendig macht und sie benutzt, um uns alles zu lehren, was wir wissen müssen.
Ich glaube, dass Gott den Verfassern der Bibel nicht Wort für Wort den Text der Schrift diktiert hat. Stattdessen schrieben die Autoren ihre Erfahrungen mit Gott auf und wie sie Gott und die Situation durch ihre Weltanschauung verstanden. Ich bin in dieser Hinsicht nicht dogmatisch, aber ich denke, dass dies bedeutet, dass selbst wenn die Autoren Ansichten über Gott niederschrieben, die nicht widerspiegeln, wie Gott wirklich ist, oder wenn sie einige Fakten ungenau niederschrieben, bedingt durch ihre Weltanschauung, Gott sie nicht daran hinderte. Er hat sie immer in Richtung Wahrheit beeinflusst, soweit sie in der Lage waren, diese zu begreifen, aber er hat die Wahrheit nicht in ihre Gehirne heruntergeladen und damit all ihre falschen Überzeugungen ausgelöscht.
Robin Parry betont, dass die „biblischen Bücher von antiken Menschen in antiken Kontexten geschrieben wurden, und wir müssen ihnen Raum geben, sie als solche zu hören“ (2014:Vorwort). Der Alttestamentler Peter Enns führt dieses Konzept weiter aus und erklärt, dass
„In der Bibel lesen wir von Begegnungen antiker Völker mit Gott, in ihrer Zeit und an ihrem Ort, mit ihren Fragen und in einer ihnen vertrauten Sprache und Vorstellung“ (2014:23).
Greg Boyd argumentiert
„dass Gott, weil er authentische Beziehungen der Agape-Liebe über alles schätzt und die Menschen nicht entmenschlichen will, eher auf Einflussnahme als auf Zwangsgewalt setzt, um seine Ziele zu erreichen. Aus diesem Grund, so behaupte ich, musste Gott seine Selbstoffenbarung an den geistlichen Zustand und die kulturelle Prägung seines Volkes in den Zeitaltern vor Christus anpassen. Nur allmählich konnte Gott die Herzen und den Verstand der Menschen verändern, so dass sie mehr und mehr Wahrheit über seinen wahren Charakter und seinen idealen Willen für sie empfangen konnten“ (2017: The Theological Interpretation of Scripture).
Ich stimme mit Boyd, Enns und Parry überein und behaupte, dass die göttliche Akkommodation der Grund dafür ist, dass wir im Alten Testament eine uralte Kosmologie und in der gesamten Bibel eine wachsende Offenbarung darüber finden, wer Gott ist und was sein wahrer Wille ist.
In dem Maße, wie die Menschheit – oder ein Individuum – Fortschritte macht, kann Gott in seiner Selbstoffenbarung tiefere und komplexere Wahrheiten anbieten. Diese fortschreitende Offenbarung, wie sie von den frühen christlichen Autoren verstanden wurde, gipfelte in der Inkarnation Christi (Sturdevant, 2016:618).
In seinem von Gott eingegebenen Wort passte Gott seine Kommunikation an das Verständnis seiner Zuhörer an. Er beugte sich zu ihrer Weltsicht hinunter und traf sie dort, wo sie sich befanden. Boyd ist der Ansicht, dass „Gott immer bereit war, sich so weit wie nötig zu beugen, um sich mit seinem gefallenen und kulturell bedingten Volk zu solidarisieren und seine geschichtlichen Ziele durch es zu fördern“ (2017:84).
Akkommodation und Kommunikation
Hilber schließt seine Studien zur göttlichen Akkommodation in Gen 1 wie folgt ab
„Akkommodation erlaubt die Anpassung der Sprache zum Zweck der Explikation und Implikation der informativen Absicht, ohne die gesamte enzyklopädische Bandbreite der mit der verwendeten Äußerung verbundenen kosmologischen Ideen zu bestätigen“ (2020:152).
Der Logik der Relevanztheorie folgend, wie sie von Dan Sperber und Deidre Wilson vorgeschlagen wurde, interpretiert Hilber das Entgegenkommen Gottes als einen Versuch, den Verarbeitungsaufwand, die Energiemenge, die der Hörer benötigt, um das Gesagte zu verarbeiten und zu verstehen (z. B. die Verwirrung über die Details, wie Gott geschaffen hat), zu reduzieren, um die informative Absicht, die Botschaft, die der Sprecher vermitteln will (z. B. Gott ist Schöpfer), dem Hörer so klar wie möglich zu vermitteln (:152).
Warum ist die antike Kosmologie in der Bibel eine gute Nachricht für uns?
Gott beugte sich herab und passte sich antiken Glaubensvorstellungen an, um den Menschen in der Antike auf Augenhöhe zu begegnen. Dies hilft uns zu verstehen, dass Gott jeden Menschen dort abholen will, wo er im Leben steht. Gott kommt immer auf unsere Ebene herab, um uns innerhalb unserer Grenzen und unserer kulturellen Bedingungen zu begegnen. Aber er bleibt nicht dabei stehen. Er will uns immer wieder neue Wahrheiten offenbaren, damit wir falsche Überzeugungen gegen die Wahrheit eintauschen und darin wachsen können, die Welt mit seinen Augen zu sehen.
Was können wir also von göttlicher Akkommodation lernen?
Kommunikation sollte auf den Empfänger ausgerichtet sein. Empfängerorientierte Kommunikation bedeutet, dass der Sprecher überlegt, wie seine Worte vom Hörer verstanden werden könnten, und dann versucht, die informative Absicht so zu vermitteln, dass sie für den Hörer Sinn ergibt. Der Absender der Nachricht sollte die Last der Kommunikation übernehmen (Dodd, 1995:15). Durch die Minimierung des Verarbeitungsaufwands für den Hörer wird die informative Absicht deutlicher kommuniziert. Die Minimierung des Verarbeitungsaufwands könnte zum Beispiel bedeuten, Details zu vernachlässigen, die im Hinblick auf die informative Absicht irrelevant sind. Oder es könnte bedeuten, in Kauf zu nehmen, dass unrichtige Details mitgeteilt werden, um nicht von der Hauptbotschaft, der informativen Absicht, die mitgeteilt werden soll, abzulenken. Die Verwendung von Konzepten und Ideen aus der Weltanschauung des Zuhörers, auch wenn sie nicht korrekt sind, ist eine weitere Möglichkeit, den Verarbeitungsaufwand zu reduzieren und das Verständnis der informativen Absicht zu maximieren.
Wir sehen dieses Prinzip im Leben des Paulus in Aktion. Als Paulus von seiner Reise nach Jerusalem zurückkam (Apg 21,15-26), wollte er die Zuhörer nicht vom Evangelium ablenken, indem er sie über seine Treue zum mosaischen Gesetz ins Grübeln brachte (Apg 21,21-24). Deshalb willigte Paulus ein, sich im Tempel zu reinigen, obwohl er wusste, dass er nicht mehr unter dem Gesetz stand (Röm 6,14). Paulus erniedrigte sich und unterwarf sich dem mosaischen Gesetz, von dem er wusste, dass er es nicht mehr zu befolgen brauchte, um die Juden nicht durch irrelevante Details davon abzulenken, dem Evangelium zuzuhören, das er in Jerusalem verkünden wollte.
Weiterhin wurde die empfängerorientierte Kommunikation von Paulus gut veranschaulicht, als er in Athen war (Apg. 17, 16-34) und feststellte, dass seine Predigten seine Zuhörer verwirrten (Apg. 17, 18). Als er dies erkannte, beschloss er, etwas zu wählen, das den Zuhörern vertraut war, nämlich den Altar eines unbekannten Gottes, und diesen als Ausgangspunkt für seine Predigt zu verwenden (Apg 17,23). Darüber hinaus zitierte er ihre eigenen Dichter (Apg 17,28). Mit diesen Elementen trug er dazu bei, den Verarbeitungsaufwand für seine Zuhörer zu verringern, um die informative Absicht, die er vermitteln wollte, zu maximieren: dass der Gott, der alles geschaffen hat, Herr über alles ist und dass wir ihm gegenüber verantwortlich sind (Apg 17,24-31).
Zusammenfassung:
Die antike Kosmologie, die wir in der Bibel finden, hilft uns, uns daran zu erinnern, dass Gott sich immer zu uns herabbeugt, um uns dort zu begegnen, wo wir uns befinden. Seine Kommunikation ist auf den Empfänger ausgerichtet, und dementsprechend sollte auch unsere Kommunikation sein. Gott offenbart uns seine Wahrheit schrittweise, entsprechend unseren Grenzen und Fähigkeiten. Je mehr wir versuchen, in der Wahrheit zu wachsen, desto mehr wird er uns die Wahrheit offenbaren können.
Bibliografie:
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Bromiley, GW. & Sweet, LM. 1979–1988. ‘Accommodation’. In G. W. Bromiley ed. The International Standard Bible Encyclopedia, Revised (Vol. 1). Wm. B. Eerdmans.
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Hilber, JW. 2020. Old Testament cosmology and divine accommodation: a relevance theory approach. Kindle ed.
Parry, RA. 2014. The biblical cosmos: A Pilgrim’s guide to the weird and wonderful world of the Bible. Kindle ed. Eugene, Oregon: Cascade Books.
Ramm, BL. 1961. Special Revelation and the Word of God. Grand Rapids: Eerdmans.
Sturdevant, JS. 2016. ‘Accommodation’. In J. D. Barry, D. Bomar, … W. Widder eds. The Lexham Bible Dictionary. Bellingham, WA: Lexham Press.
von Balthasar, HU. 1989. Explorations in Theology: The Word Made Flesh. San Fran- cisco: Ignatius Press.
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