Viele Christen weltweit merken, dass sie ihr Gottesbild, ihre Interpretation der Bibel und gewisse Praktiken des Christentums nicht mehr mit der Lehre und dem Leben Jesu in Verbindung bringen können. Sie legen alte Glaubensmuster ab und bauen ihren Glauben neu auf, mit Jesus im Zentrum. Viele tauchen tiefer in die Bibel ein als je zuvor und entdecken neue Schätze, die lange verborgen lagen. Lange wurde dieser Prozess als Dekonstruktion und Rekonstruktion des Glaubens bezeichnet. Aber ist dies eine passende Beschreibung? Welche Beschreibung beschreibt den Prozess besser?
Vor fast 40 Jahren, als wir noch in Rom lebten, verbrachten wir ein paar Tage in der schönen mittelalterlichen Stadt Volterra in der Toskana. Dabei nutzten wir die Gelegenheit, Florenz und seine wunderbare Uffizien-Galerie zu besuchen.
Zu dieser Zeit wurden verschiedene Meisterwerke erst kürzlich restauriert, und wir waren erstaunt über die leuchtenden Farben der Werke von Botticelli und anderen. Sie sahen aus, als wären sie erst am Vortag fertiggestellt worden und die Ölfarbe war noch am Trocknen.

Der Restaurierungsprozess ist zeitaufwändig und schwierig, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand in der Kunstwelt argumentiert hat, dass diese Gemälde so belassen werden sollten, wie sie waren; dass die Schmutzschichten sie tatsächlich geschützt und vielleicht noch schöner gemacht haben; dass eine Restaurierung eine Beleidigung für ihre Schöpfer wäre; oder dass eine Restaurierung dieser Kunstwerke gleichbedeutend damit wäre, die Welt der Kunst für eine weniger schöne Welt zu verlassen und die Wahrheiten der jetzt besudelten Gemälde, die einst so schön waren, zu leugnen.
Im Gegenteil, es wurde viel Zeit und Mühe darauf verwendet, die Verunreinigungen, die ihre wahre Pracht verbargen, sorgfältig zu entfernen, und Tausende von Besuchern der Uffizien und anderer Galerien in der ganzen Welt sind dankbar für die Restaurierungen, die die ursprünglichen Visionen der Künstler offenbaren.
Natürlich gab es einige amateurhafte Restaurierungsversuche, die schrecklich schief gingen, aber niemand hat behauptet, dass dies ein Hinweis darauf sei, dass Restaurierung eine unwürdige oder gefährliche Tätigkeit sei.
Doch wenn es um das Evangelium vom Reich Gottes geht, lehnen die „Kuratoren“ dieses Meisterwerks alle Restaurierungsversuche ab. Die Schichten menschengemachter Lehren, die im Laufe der Jahrhunderte und insbesondere in den letzten Jahrhunderten hinzugefügt wurden, sollen das Evangelium angeblich schützen und verbessern.
Viele dieser menschengemachten Lehren ähneln den Traditionen der Ältesten, die Jesus zu seiner Zeit kritisierte. Viele dieser Lehren beruhen auf dürftigen Beweisen oder nur auf ein oder zwei Versen, die auch anders verstanden werden könnten.Die heutigen Pharisäer und Schriftgelehrten – insbesondere die Führer des evangelikalen Flügels der Kirche – bekämpfen die, die das Evangelium in seinem ursprünglichen Glanz wiederherstellen wollen.
Es stimmt, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir von Dekonstruktion statt von Restauration sprechen, und es gibt einige, die das Evangelium selbst zerstören und die Existenz seines – und unseres – Schöpfers leugnen wollen. Das ist bedauerlich, aber wir können verstehen, dass Menschen, die in ihrer Jugend durch Lehren wie ewige Folter in der Hölle für diejenigen, die Gott nicht kennen, verletzt – sogar traumatisiert – wurden. Solche verletzte Menschen, lehnen oft nicht nur die spezifische Lehre ab, sondern auch die Institutionen, die sie verkünden, und die Gottheit, die sie dahinter vermuten.
Das ist meiner Meinung nach – und nicht nur meiner, wie ich hinzufügen möchte – so, als würde man einen Vorschlaghammer nehmen, um ein Kunstwerk zu restaurieren, anstatt kleine Werkzeuge wie Pinsel, Pinzette, Skalpell und Spachtel.
„In einem Blogbeitrag mit dem Titel „Deconstruction or Restoration“ (20.4.16) schlug Brian Zahnd vor, dass das Bild der Kunstrestauration uns besser dienen könnten.
Er stellt sich den Glauben als eine uralte Christus-Ikone vor, die seit Jahrhunderten mit Schmutz und Ruß bedeckt ist. Ein Restaurierungsexperte wird beauftragt, der Ikone ihre ursprüngliche Leuchtkraft zurückzugeben. Unter den Werkzeugen des Künstlers würde man nicht erwarten, Dynamit zu finden. Man restauriert ein unbezahlbares Meisterwerk nicht, indem man es in die Luft sprengt. Brian wendet diese Analogie auf unseren Glauben an:
In unserer Leidenschaft, den christlichen Glauben von seinen unzähligen Verzerrungen zu befreien, sind wir nicht wie die Taliban, die die Buddhas von Bamiyan in die Luft sprengen, sondern wie die Künstler, die Michelangelos vandalisierte Pietá restaurierten.
Wenn wir das Christentum neu überdenken, müssen wir uns immer vor Augen halten, dass wir mit etwas ungeheuer Kostbarem umgehen – dem Glauben an Christus. Gerade weil der Glaube an Christus so kostbar ist, sind wir der schwierigen Aufgabe verpflichtet, ihn in seiner ursprünglichen Schönheit wiederherzustellen. Aber bei dieser heiklen Aufgabe dürfen wir nicht mit billigem Zynismus und grobem Spott vorgehen. Wir gehen die Aufgabe geduldig, ehrfürchtig und behutsam an und zeigen dabei stets tiefen Respekt vor der großen Tradition, die den christlichen Glauben und die christliche Praxis seit zweitausend Jahren trägt.“
(Jersak, Bradley. A More Christlike Way: A More Beautiful Faith (pp. 34-35). Plain Truth Ministries. Kindle Edition)
Die Gottheit, die diese verletzten Menschen ablehnen, ist nicht diejenige, von der Jesus sagte: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Es ist eine heidnische Gottheit, die (bestenfalls) von Menschen erfunden wurde, und es ist Recht, sie abzulehnen.
Vielleicht müssen einige Instutitionen gründlich dekonstruiert werden; vielleicht sind einige so sehr in falschen Lehren und Praktiken verstrickt, dass sie nicht wiederhergestellt werden können. Frank Viola vertritt in seinen Büchern über Kirchen- und Christentumsgeschichte die Ansicht, dass eine Reform aus dem Inneren der institutionellen Kirche heraus heute praktisch unmöglich ist.
„Eine Revolution sowohl in der Theologie als auch in der Praxis der Kirche steht uns bevor. Unzählige Christen, darunter Theologen, Geistliche und Wissenschaftler, suchen nach neuen Wegen zur Erneuerung und Reform der Kirche. Andere haben das traditionelle Konzept der Kirche gänzlich aufgegeben. Sie sind zu der Überzeugung gelangt, dass die institutionelle Kirche, wie wir sie heute kennen, nicht nur unwirksam ist, sondern auch keinen biblischen Wert hat. Aus diesem Grund halten sie es für einen Fehler, die gegenwärtige Kirchenstruktur zu reformieren oder zu erneuern. Denn die Struktur ist das eigentliche Problem.“
(Viola, Frank. Reimagining Church: Pursuing the Dream of Organic Christianity (S. 15). David C. Cook. Kindle Edition.)
Ich werde hier nicht versuchen, mehr zu schreiben, denn bessere Männer und Frauen als ich haben bereits ausführlich über Wiederherstellung, Dekonstruktion, von Menschen gemachte Lehren und verwandte Themen geschrieben.
Ich empfehle vor allem die Bücher von Brad Jersak, Brian Zahnd, Peter Enns, Greg Boyd und David Bentley Hart zu lesen.
Das neue Buch von Brian Zahnd „When Everything’s On Fire“ befasst sich speziell mit Zweifel und der Restauration des Glaubens.
Lassen Sie uns also bitte nicht – um die Metapher zu ändern – das Kind mit dem Bade ausschütten.
Vielmehr möchte ich dazu auffordern, das Evangelium sorgfältig in seiner ursprünglichen Schönheit wiederherzustellen und dieses wiederhergestellte Evangelium mit den Besuchern der Galerien unseres Lebens zu teilen, damit auch sie es genießen können.
Veröffentlicht mit Genehmigung des Autors. Dieser Artikel wurde ursprünglich hier veröffentlicht:
https://iesunodeshi.wordpress.com/2021/10/08/restoration/
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